New Orleans wartet auf bessere Zeiten

Auch 1 Jahr nach der Katastrophe Katrina, die sich Ende August 2005 entlang der südlichen Golfküste abspielte, sieht die Zukunft für grosse Teile der verwüsteten Stadt New Orleans sehr düster aus. Das vergangene Jahr wird von vielen Beobachtern als "verloren" eingestuft, weil es keine klare Planung für den Wiederaufbau gibt und das von der Regierung versprochene Geld nur spärlich fliesst. Die Frustration der Betroffen ist daher enorm. Viele der Überlebenden sind deprimiert wegen ihres Schicksals, vor allem aber sind sie empört über die mangelnde Hilfeleistung der Regierung. Präsident Bush versprach zwar Mitte September 2005 in einer Rede an die Nation vom menschenleeren Jackson Square aus: "Wir werden tun, was nötig ist und werden bleiben, so lange es sein muss", doch im vergangenen Jahr geschah viel zu wenig. Zahlreich sind die Fälle, in denen aus administrativen Gründen noch immer kein Geld geflossen ist. Am schlimmsten ist aber wohl die Tatsache, dass niemand wirklich weiss, wie es weiter gehen soll und wie das neue New Orleans überhaupt aussehen soll. 

Kenneth Reardon, Leiter des Departements für Stadt- und Regionalplanung empört sich: "In New Orleans sind die Grundregeln der Stadtplanung vergessen worden, nämlich: Daten sammeln, die Bedürfnisse der Menschen herausfinden, die Realitäten anerkennen. Statt dessen schauten sich Beauftragte für die Planung um, die noch nie in der Gegend gelebt haben. Sie sagten, es könne nichts gemacht werden und niemand wolle zurückkehren. Das Vorgehen ist schlicht kriminell."  

Zudem gibt es Politiker, die allen Ernstes erklären, dank Katrina könnten nun alle Probleme und Fehler gelöst werden, die sich über Generationen hinweg angehäuft hätten. Ein Viertel der Bevölkerung von New Orleans lebte vor Katrina unter der Armutsgrenze (doppelt so viele wie im nationalen Durchschnitt). Stadtpräsident Ray Nagin erklärte in den ersten Tagen nach Katrina: "Lower Ninth Ward (das berüchtigte Armenviertel der Stadt) kann nicht wieder aufgebaut werden, da es am tiefsten Teil der Stadt liegt", was nicht der Tatsache entspricht. Es ist auffallend, dass niemand auf die Idee kam, über Lakeview, eine vornehme weisses Region, die noch tiefer unter Wasser lag, vergleichbare Aussagen zu machen. Sechs Monate nach Katrina war das Armenquartier Lower Ninth Ward der einzige Bezirk, der noch immer keine Elektrizität hatte und in dem die Trümmer allgegenwärtig sind.

Ob da wohl "jemand" daran interessiert ist, dass die armen Bewohner gar nicht mehr zurückkommen können? 

Die Planer gehen davon aus, dass die Bevölkerung von New Orleans künftig mit 250'000 etwa halb so gross sein wird, als vor Katrina.  Die Pläne scheitern aber an fehlendem Geld, fehlender Kooperationsbereitschaft und nicht zuletzt an der grossen Verbundenheit der Bevölkerung mit dem alten New Orleans. So kommt es, dass überall in der Stadt Leute aus Eigeninitiative ihre alten Häuser "renovieren". Weite Teile der Stadt bleiben aber gespenstig leer, weil sich die ehemaligen Besitzer dazu entschieden haben zu warten,  bis vielleicht doch noch Geld fliesst, bis die nächste Hurrikansaison vorbei ist, bis die Nachbarn auch zurückkehren wollen,.... Und diejenigen, die zurückgekehrt sind, stossen auf enorme Probleme aller Art. So finden zahlreiche Eltern keine Schule für ihre Kinder, weil es an Klassenzimmern und Lehrpersonen mangelt. 

Die Zeichen der Katastrophe sind noch immer schmerzhaft sichtbar: erst 70 Prozent des Schuttes und Abfalls wurde bisher aus New Orleans entfernt und die Armenviertel sind nach wie vor unbewohnbar. Das liegt einerseits am enormen Ausmass der Schäden auf einem Gebiet von ungefähr der Grösse Großbritanniens, aber auch am bis heute anhaltenden Unvermögen der Behörden, während der Überflutung angemessen zu reagieren und später einen funktionierenden Wiederaufbauplan auszuarbeiten. 

"Als die Dämme brachen: ein Requiem, in vier Akten" nennt Regisseur Spike Lee seinen vierstündigen Dokumentarfilm, in dem er den benachteiligten Menschen eine Stimme gibt. In einem Interview mit der "Los Angeles Times" erinnert Lee ausdrücklich an die Geschichte der Afroamerikaner, für die die Sklavenzeit in noch nicht so weiter Ferne liegt! Zudem erwähnt er auch die Tatsache, dass während der grossen Flut von 1927 die Schutzdämme bewusst gesprengt wurden, um das Geschäftsviertel von New Orleans zu retten.  "Als Afroamerikaner traue ich der Regierung alles zu", sagt der Regisseur im Hinblick auf die in New Orleans von vielen Schwarzen verbreitete Meinung, die Schutzdämme seien nicht einfach gebrochen, sondern auch 2005 gesprengt worden. 

Inzwischen sind drei neue Studien über die Dämme von New Orleans herausgekommen und alle zeichnen ein äusserst düsteres Bild. Der Bericht der Universität Berkley kommt zum Schluss, die Dämme seien so schlecht gewartet worden, dass die Stadt auch nach den diesjährigen Verbesserungen in grösster Gefahr bleibe. Auch das Ingenieurscorps des Militärs, das die Dämme betreut, kommt zum Schluss, dass Hurrikan Schutzsystem existiere nur dem Namen nach. Zudem fanden andere Wissenschafter heraus, dass die Stadt und die Dämme schneller als erwartet ins Mississippi Delta absinken – an einigen Orten bis zu drei Zentimeter pro Jahr! 

Die Zukunftsaussichten für New Orleans sind trübe – auf allen Ebenen. 

SEE hat für diesen Artikel einen Bericht von Karin Reber Ammann (Washington) aus dem St. Galler Tagblatt vom 26.08.06  zusammengefasst.