Liebe Leserinnen und Leser
Viele Menschen haben mich gefragt, warum ich als relativ junge Frau eine
Geschichte über eine alte Frau schreibe.
Dafür gibt es wohl mehrere Gründe:
In meiner Kindheit war meine Grossmutter für mich eine
ganz wichtige Person. Die spannendsten Geschichten waren für mich
diejenigen, die sie mir aus ihrem Leben erzählte. Was für ein Reichtum an
Lebenserfahrung sie in sich trug! Erst viel später wurde mir klar, unter was
für Entbehrungen diese Generation gelebt hat, besonders die Frauen. Solche
Frauen mussten innerlich sehr stark sein, sonst hätten sie all das niemals
durchgestanden. Es wurde mir aber auch bewusst, dass diese Frauen nie
gefragt worden sind, was sie vom Leben wollen!
Als junges Mädchen wollte ich Altenpflegerin werden,
und ich stellte mir vor, wie schön es wäre, den alten Menschen den
Lebensabend zu versüssen. Ich durfte ein mehrmonatiges Praktikum auf einer
geriatrischen Station absolvieren. Bald habe ich einen Traum nach dem
anderen begraben müssen. Ich war entsetzt, wie mit den alten Menschen
umgegangen wurde. Wir zwangen die Leute zur Nahrungsaufnahme und auch zur
Medikamentenaufnahme. Um 16 Uhr mussten alle im Bett sein wegen des
Schichtwechsels. Es blieb kaum Zeit, um spazierenzugehen oder aus Büchern
vorzulesen. Die Menschen wurden aufbewahrt und nicht betreut. Ich schämte
mich für das, was wir angeblich tun mussten. Deshalb war es für mich nicht
möglich, diesen Beruf zu erlernen. Das ist jetzt zwanzig Jahre her, und zum
Glück hat sich vieles verändert und verbessert. Trotzdem kommt es immer
wieder vor, dass gedankenlos und lieblos mit alten Menschen umgegangen wird.
Wenn man bedenkt, dass diese Menschen ein Leben lang gearbeitet und ihre
Pflichten der Gesellschaft gegenüber erfüllt haben, denke ich, sie hätten
verdient, mit Achtung und Respekt behandelt zu werden. Ist es nicht schade,
dass wir viel zu wenig von den Lebenserfahrungen der alten Menschen
profitieren?
Grund zu dieser Geschichte war schliesslich die
Auseinandersetzung mit dem Sterben und dem Tod. Durch meine eigene
Geschichte bin ich seit langer Zeit mit dem Tod konfrontiert. Immer wieder
sehe ich, was für ein grosses Tabu dieses Thema noch immer ist. Wir sollten
mehr darüber sprechen, das würde viele Ängste abbauen. Johannas Geschichte
ist auch die Geschichte von einer inneren Befreiung. Sie soll zeigen, dass
wir jederzeit die Möglichkeit haben, unserem Leben eine neue Richtung zu
geben. Dafür ist es nie zu spät.
Ich wünsche mir, dass die Geschichte von Johanna den
Weg zu den Herzen der Menschen findet.
Christine Vogel
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